Wo nichts mehr wächst, ist es auch schön

Auf der Such nach Trost: Fotografien des höchst bemerkenswerten Autodidakten Reinhart Mlineritsch in der Galerie Pernkopf

Es müssen keine bedeutenden Gegenstände sein, die einer Fotografie Wert verleihen. So wie Dichter die Blumen am Wegesrand besingen, so kann das Auge des Fotografen mit forschendem Interesse auf den fahlen Sträuchern zwischen wild gelagertem Müll oder den letzten Grashalmen unter einer Brücke ruhen. Die Natur ist unermüdlich, wie arg sie auch der ebenfalls unermüdliche Mensch malträtiert. Dafür hat der österreichische Fotograf Reinhart Mlineritsch einen genauen Blick. Seit Jahren wandert er, wenn es seine Zeit erlaubt, durch Feld und Flur in der Heimat, Griechenland und Amerika, und gerade da, wo man normalerweise gar nicht erst aus dem Auto steigen würde, an trüben Tümpeln, auf Wiesen mit abgekipptem Bauschutt oder in trostlos baumfreien Landschaften, wird sein Interesse hellwach.

Doch während Umweltschützer die Verwüstung der natürlichen Umwelt laut beklagen, verliebt sich der Salzburger in den zähen Trotz der Pflanzen. Oder auch in die Schönheit weggeworfener Produkte. Zum einen bannt er vorgefundene Sinnbilder wie die in einem weggeworfenen Autoreifen gewachsene Pflanzengemeinschaft oder den spärlichen Bewuchs am Rand irgendwelcher Betonpfeiler.

Zum anderen entdeckt Mlineritsch auch da noch Schönes, wo nichts mehr wächst: in herumliegenden Rohren, aufgeschnittenen Kabeln, im Faltenwurf weggetaner Gummistreifen oder auf der schwarzen Folie, die über Erde gespannt ist. Daß er an einem vom Wetter oder von Insekten zerfressenen, noch standhaft im Wind schaukelndem Blatt nicht achtlos vorbeigehen kann, versteht sich dann beinahe wie von selbst.

Wer Wut über den Tag für Tag in der Natur angerichteten Schaden loswerden will, dürfte grelle Kontraste ausmalen, wer aber still trauert und sich an schönen Aspekten erfreut, wird zum Schwarzweißfilm greifen. Mlineritsch späht überall nach den von der Natur gebildeten Hell-Dunkel-Kontrasten, denen er in der Dunkelkammer zu magischer Intensität verhilft. Der Titel „Letzte Chance“, der über seinem Hauptwerk steht, meint somit nicht allein die biologischen Kräfte, die sich nicht ersticken lassen, sondern auch die Schönheit, die mitten im Häßlichen aufleuchten kann, wenn man nur richtig hinzuschauen versteht.

Mit der gut dreißig Arbeiten umfassenden Auswahl stellt die Galerie Pernkopf, die vielleicht gerade der österreichischen Fotografie den Weg nach Berlin bahnen könnte, einen höchst bemerkenswerten Autodidakten vor. Mlineritsch, Jahrgang 1950, ist hauptberuflich in der Privatwirtschaft tätig, hat sich jedoch durch seinen eigenwilligen wie einleuchtenden Blickwinkel als Fotokünstler einen Namen gemacht.

Schon liegt ein umfangreicher Bildband vor, der ihn von verschiedenen Seiten vorstellt. Mehr noch als in der klug komponierten Ausstellung zeigt sich darin, daß er – was eher ein Vorzug ist – an seinem Stil arbeitet. Er reibt sich an der Zivilisation, wie auch die nicht so eigenständigen Architekturfotos beweisen, und sucht Trostpunkte um nicht dem Pessimismus zu verfallen. Im Interesse am Morbiden kann man leicht ein zutiefst österreichisches Motiv erkennen. Die mal in weiter Perspektive, vorzugsweise aber auch aus der Nähe betrachtete Landschaft wird zum Ort resignierender, aber klarsichtiger Freude. Im schrägen Abendlicht oder in der Morgensonne auf Ithaka fand Reinhart Mlineritsch in einer breiten Reifenspur im Sand wieder einmal ein malerisches Zeichen, das man so schnell nicht vergißt. hell leuchtend die eine, in Dunkel gehüllt die andere Seite dieses Stückchens Erde. Was immer der Mensch tut, er hinterläßt ein Zeugnis seines Seins. Darin kann die Fotografie, die sich dem Leben anvertraut, statt es inszenieren zu wollen, ihren Urstoff finden. (Hans Jörg Rother, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berlin, 18.4.2002)