Die Fotografie, wie wenige Künste ein Kind der Moderne, kann noch auf keine lange ikonographische Tradition zurückblicken. Aus dem Geist des Dokumentationsbedürfnisses geboren, war ihre Aufgabe zunächst, festzuhalten, was ist, besser noch: was wird, was im Begriff zu entstehen ist. Nicht dem Krimkrieg, und Dokumentationen des historischen Stadtumbaus in Wien und Paris, also Arbeiten aus den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, zu den Klassikern der Fotografie. Erst in diesem Jahrhundert begann sich bei Fotografen die Bindung ans Zukünftige, Zukunftsverheißende zu lockern. Die ästhetische Moderne in ihrer ganzen Vielfalt hielt Einzug. An zentraler Stelle die Ästhetik des Hässlichen, die Ästhetik des Verfalls. In unvergleichlicher Weise hat sich in letzter Zeit der österreichische Fotograf Reinhart Mlineritsch hervorgetan als jemand, der nun wiederum das Hässliche unserer Städte und Industrieregionen zu poetisieren vermag. In der nebenstehenden Aufnahme wird solchermaßen ein Betontunnel zur malerischen Gewaltkulisse mit Ausblick. Wer mehr von Reinhart Mlineritsch sehen will, ist gut beraten, sich seinen soeben erschienenen Bildband anzuschaffen. Verfall, nicht beschönigt; aber verschönt. (Die Welt, 21.8.1999).