Ein gutes Foto läßt an einen Bergwerksstollen denken. Es öffnet dem Auge das Innere unserer Welt, legt Schichten frei, die lange verborgen waren, und schürft nach Reichtümern, die sich niemand auf den ersten Blick erträumt hätte. So arbeitet der österreichische Fotograf Reinhart Mlineritsch auf seinem Bild von den Raupenspuren im Sand der Insel lthaka. Die Kettenspuren sind als Ensemble von Gegensätzen lesbar: Fragilität und Gewalt, Sandhaufen und Hochgebirge, Licht und Schatten, Mensch und Natur. Das Bild ist Teil des Zyklus „Bodenschätze“, der in einem der schönsten neueren Fotobände enthalten ist: „Wie ein Fremder“ versammelt mehr als siebzig Arbeiten Mlineritschs aus den Jahren 1992 bis 1998. Entstanden sind sie überwiegend im Salzburger Land, bisweilen auch auf griechischen Inseln oder in Amerika. Doch Mlineritsch betreibt keine Reisefotografie. Sein Felsprofil aus der Kitzlochklamm ist eine nahezu abstrakte Form, deren teeriges Schwarz mit den gleißenden Lichtblitzen auf wundervolle Weise im Buch reproduziert worden ist. Gleiches gilt für die in Schärfe, Kontrast und Dreidimensionalität wie Rastermikroskopaufnahmen wirkenden Pflanzenfotografien. Die Kunst der Lichtinszenierung ist auf diesen Bildern zur Vollendung gebracht: Die unwirkliche Schönheit, die zerknüllte, verbrannte oder ausgespannte Plastikfolien in Mlineritschs Aufnahmen entwickeln, versöhnt mit der aseptisch-perfekten Kühle, die seinen Aufnahmen aus Colorado anhaftet. Diese Motive haben durch Ansel Adams bereits einen so überzeugenden Dokumentaristen gefunden, daß man einen abermaligen Versuch, zudem in Schwarzweiß, nicht mehr als Gewinn empfindet. Doch in der unfaßbar filigranen Eisschicht auf dem Wallersee, in den Schneewehen im Weißpriachtal, die Mlineritsch wie einen dünnen Morgennebel fotografiert hat, oder dem Schattenraster über einer Zufahrt in Oberalm entdeckt der Fotograf jeweils eine optische Bonanza. Diese Trouvaillen leben vor allem durch den Kontrast, den der Übergang von einer Struktur auf eine andere ergibt und Mlineritsch entdeckt sie mit solch sicherem Blick daß man nur staunen kann über diesen Bergmann der Fotografie der seine Objekte mit einer Delikatesse angeht, die eher an einen Archäologen denken läßt der unmittelbar an der Fundstelle nur noch mit feinsten Instrumenten arbeiten darf. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.8.1999).